Meine Tochter wollte mir helfen. Beim Aufdecken für das Abendessen das ich wieder einmal nicht rechtzeitig vorbereitet hatte. Denn ich war mit ihrem Bruder beim „Simsalagrimm“ sehen eingenickt während sie mit ihren zwei Freundinnen in ihrem Zimmer und im Keller spielte. Ich hatte es genossen, dass mein kleiner einfach nur mit seiner Wange auf meinem Kopf die Märchenadaption von Dornröschen ansah und ich ihn dabei riechen konnte nachdem ich ihm versprechen musste mit dem lesen aufzuhören und auch wirklich mit zu schauen.
Sie ist zappelig dabei, kann niemals still halten, sogar abends wenn sie todmüde im Bett liegt und eigentlich kuscheln möchte, tritt sie mich permanent mit den Füßen, ich kann es meist kaum aushalten. Genauso beim Essen. Egal wo ich sitze, sie tritt mich mit ihren Füßen. So, als wollte sie permanent spüren, dass ich da bin. Nehme ich meine Beine dann zur anderen Seite, folgen mir ihre tretenden Füße. Diese tretende, mir folgende Nähe, die keine angenehme ist, sie macht mich manchmal rasend. Irgendwann platze ich meist und frage sie, ob es ihr selbst nicht weh täte getreten zu werden.
So völlig unliebend bin ich also heute wieder einmal ausgeflippt, als sie mit den Einzel-Wurstteilen in den Händen und teilweise im Mund wieder umher rannte wie ein nervöses Huhn, fragte sie, was diese Schweinerei soll. Wieso sie schon wieder das Essen mit dreckigen Händen in den Mund stopfen würde. Das Essen, das wir anderen auch noch essen möchten. Fragte sie, ob wir hier im Schweinestall wohnen würden. Meist schäme ich mich schon beim aussprechen dieser Worte, denn ich habe das Gefühl sie dafür zu bestrafen, dass ich es nicht auf die Reihe bekommen habe das Essen einfach rechtzeitig fertig zu haben und sie dann auch noch bestrafe dafür, dass sie mir helfen möchte mein Zeitversagen wieder aufzuholen.
Sie fängt schrecklich verletzt an zu weinen und sagt es täte ihr leid. Sie wollte mir helfen und sie macht nie etwas richtig. Das zerfetzt mich innerlich weil ich weiß sie hat Recht: Denn sie hat keine Chance für mich etwas richtig zu machen. Wie soll sie etwas für den Menschen den sie liebt richtig machen, wenn der Mensch nicht einmal weiß, wie er es für sich selbst richtig machen soll. Eine Mutter, die selbst nicht weiß was für sie richtig ist kann kaum ihrem Kind sagen was für sie richtig ist und noch viel weniger was für das Kind richtig ist.
Ich habe mich bei ihr entschuldigt und ihr gesagt, dass es mir so sehr leid tut. Habe ihr gesagt, dass die blöde Wurst, die Finger und all das nicht wichtig sind, dass ich nicht gut drauf bin und es mir unglaublich Leid tut. Sie stand beim Essen auf, lief um den Tisch, umarmte mich, wollte festgehalten werden. Später, als ich mit ihr im Bett kuschelte, sie mich wieder permanent tretend, zappelnd, doch nicht wollend dass ich gehe, eingeschlafen war konnte ich endlich weinen. Weil ich glaube ihr Gefühl zu kennen das sie spürt, wenn sie weint, weil ich zu ihr vom Schweinestall spreche. Vielleicht ist ihr Gefühl ähnlich dem, das ich spürte als ein verhasster Nachbar in meiner Kindheit zu mir sagte „Wenn Dein Mund zugeht, dann geht bei Dir ein anderes Loch auf, oder?“ Dieses Gefühl der traurigen, wütenden Ohnmacht, das kenne ich so gut. Für etwas missachtet zu werden das man gerne tut, sei es mit den Fingern zu matschen oder viel zu erzählen. Und viel, viel schlimmer daran ist, dass nun ich vielleicht dieses Gefühl bei meiner Tochter ausgelöst habe durch meine verletzenden Sprüche, und nicht irgendein Idiot von Nachbar. Ich bin doch ihre Mama. Ich sollte sie doch lieben so zappelnd, tretend, schmierend und unruhig, unsicher wie sie ist. Sie ist doch aus mir entstanden genauso wie sie ist. Und ich schäme mich dafür, dass ich so viele ihrer Verhaltensweisen hasse nur weil ich weiß, ich hasse sie an mir selbst.
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