Sonntag, 4. Oktober 2015

Paris VII

Zu Hause angekommen wurde sie von der bügelnden Catherine begrüßt, die ihr ein wenig von Takashi erzählte, dem japanischen Mitbewohner, der schon wieder seit Ewigkeiten im Bad sei. Morgens und Abends führte er Waschungen in unglaublichem Ausmaß durch. Sie lachte mit Catherine darüber, dass sie am Vortag schon mit ihrem Handtuch im Bad gestanden hatte, als er ihr von der Toilette kommend andeutete, schnell Hände waschen zu wollen und dann nicht mehr aus dem Bad gekommen war. Erst als Catherine an die Tür hämmerte, da sie beide am Bügelbrett auf den Bad-Slot warteten, war er wieder zum Vorschein gekommen, geduckt wie ein begossener Pudel. Catherine erzählte, er hätte ein eigenes Waschbecken in seinem Zimmer, er benötigte nicht das gemeinsame Bad um die Hände zu waschen. Außerdem käme er abends meist viel später als geplant. Takashi hatte das Familien-Dinner gebucht. Also wollte Catherine wissen, wann es für ihn vorbereitet sein musste. Er kam meist nach seinem Tanzkurs in einem Tanzstudio im Marais, setzte sich an seinen Tisch und wartete, bis sie ihm sein Essen servierte. Er nickte dem Essen etwas schräg zu, und fotografierte es aus mehreren Perspektiven bevor er es verspeiste. Einmal sei er abends nicht nach Hause gekommen und sie hatte seine Agentur in Japan angerufen um herauszufinden wo er war, denn mit ihm selbst zu telefonieren hatte keinen Zweck wenn man nicht japanisch verstand. Als die Agentur ihr die Kneipe mitteilte in der er versackt war, ging sie ihn dort abholen. In einem für die Gegend typisches Etablissement hatten die Damen ihm Getränke und vielleicht auch anderes für 400 Euro eingeflößt und er war nicht mehr fähig gewesen alleine nach Hause zu finden.

Takashi kam also auch diesmal 22:30 Uhr nach Hause, fotografierte und verspeiste sein Essen und ging dann für seine Waschungen ins Bad. Es störte Anna nicht. Sie wollte sich nicht vorstellen welche Auswirkungen eine nicht gerade klinisch saubere, französische Wohnung wohl auf einen mit Waschzwang behafteten Japaner hatte und auch nicht, ob er sein Handy ebenfalls mit im Bad dabei hatte. Denn auch sie wurde, als sie einmal zufällig gleichzeitig mit ihm am Frühstückstisch saß, aufgefordert mit aufs Foto zu kommen. Sie ignorierte dabei den Gedanken, wem er diese Bilder zeigen würde und was er, wem auch immer, dazu erzählen würde. Sie lächelte möglichst sympathisch in die Kamera. Ihn dinnerlos verhungern zu lassen, dass konnte sie, doch die Bitte abzuschlagen mit ihm in seine Kamera zu lächeln, das ging dann doch zu weit. Ohne Essen konnte sie den guten Takashi in ihren Gedanken ohne weiteres lassen, doch ohne seine Fantasien, das schien ihr zu unmenschlich. 

Takashis Aufenthalt in Paris in einer normalen, französischen Familie war vielleicht ein Experiment der Agentur, die ihn vermittelt hatte. Man wusste dort sehr genau Bescheid über die Eigenheiten der Kunden Bescheid - von Stottern bis Waschzwang. Und wahnsinnig gerne hätte Anna Takashi gefragt, in welches Tanzstudio er ging und ob die Kurse dort gut wären. Sie hätte es sich gerne angesehen. Doch einerseits konnte sie ihn aufgrund der sprachlichen Barriere nicht fragen, andererseits wollte sie nicht wirklich mit dem geduckten japanischen Waschbär in einem Kontaktimprovisationskurs landen, bei dem man aufeinander rumrollte sich gegenseitig  Impulse für die nächste Bewegung gebend. Bein auf Bein, Arm auf Arm, schwitzend, Körper an Körper. Vor ihrer letzten Reise nach Berlin war sie vom Video einer Schule für Kontaktimprovisation vollends begeistert, hatte überlegt dort hin zu gehen und nun ließen sich diese Bilder in Zusammenhang mit Takashi in ihrem Kopf nicht mehr löschen, sosehr sie es sich auch wünschte.

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