Donnerstag, 26. November 2015

Isobel

Ein oder zwei Tage nach Bataclan, nach dem Zeitpunkt ab dem in Paris und nicht nur dort für viele Menschen nichts mehr so war wie am Abend zuvor, las ich den Post einer jungen Frau. Sie schrieb mit diesem Drang des Loswerden Wollens auf ihrer Facebook-Seite, dass sie dabei gewesen war. Dass sie dort war, im Konzert, überlebt hatte an einem Ort zu einem Zeitpunkt, an dem sie nicht gewagt, gehofft hatte, zu überleben. Innerhalb von Sekunden war das fröhliche, tanzende, singende Leben ein Blutbad geworden. Sie beschrieb, wie Menschen vor ihr zusammensanken, erwachsene Männer ihre toten Freundinnen schreiend im Arm hielten. Wie sie dort lag, im Blut fremder Menschen mit denen sie nun den Augenblick des Todes teilte. Und als sie dort liegen blieb, ihren Kopf von anderen Körpern verdeckt, sich tot stellend, sicher, dass auch ihr Tod jetzt bevorstünde, hörte sie ihre Stimmen. Sie sagte, sie möchte allen Angehörigen, allen die auf diese Weise ihre Lieben verloren hätten sagen, dass sie sicher ist, dass keiner der sterbenden Menschen in den letzten Momenten seines Lebens an die Mörder dachte. So wie die letzten Worte der Liebe eines Pärchens neben ihr, so sagte und fühlte auch sie in diesen Augenblicken ihre Lieben, sprach mit Ihnen in Abwesenheit, sagte jedem einzelnen dass sie ihn liebe. Ich spürte in ihren Worten wie sie es loswerden musste. Da waren keine Rachegedanken, kein Hass in ihr. Die Sicherheit ihrer Worte mit denen sie das wiedergab, war für mich und wahrscheinlich auch für viele andere Menschen die es lasen der hoffnungsvollste Bericht dieser Tage. 

Der Dank der jungen Frau an die Menschen danach, einen Fremden, den sie für ihren Freund hielt und der sie dennoch in die Arme nahm und sagte alles werde gut, eine Frau die ihren Laden für die Entkommenen öffnete, einen Freund der ihr ein neues, nicht blutverschmiertes T-Shirt besorgte. Sie alle zeigen uns, warum wir weiter hoffend und gebend durchs Leben gehen und nicht daran verzweifeln dürfen, dass zu jederzeit im gleichen Moment auf der Erde, gemordet wird. Aus Hass und aus Verzweiflung, niemals aus Liebe. Und daher ist das vielleicht das einzig wirklich effektive Mittel, das wir haben, das einzige, das funktionieren kann. Wahrscheinlich ist es dabei nicht wichtig, zu wem oder zu was wir Liebe empfinden. Jeder der liebt trägt dazu bei, dass diese Welt nicht überschäumt vor Gewalt, vor Mord, vor Terror. Und so gab mir diese junge Frau Hoffnung, auch wenn ich sie später voller Angst in einem Interview noch einmal alles erzählen sah, die Angst sah in ihren Augen vor dem Gehirn das nun ihr Leben lang daran arbeiten würde, verarbeiten würde. 

Jeder von uns tut in seinem kleinen Universum etwas gegen Terror, gegen Gewalt, indem er etwas tut das er liebt, Menschen liebt und im Kern allen Tuns und heute oftmals als „egoistisch“ verpönt, sich selbst liebt. Die junge Frau vermittelte mir die Hoffnung auf das Wissen, dass Menschen die sich aufgehoben und geliebt fühlen nicht morden, und dass ich einen Teil dazu beitrage, dass jeder einzelne von uns dazu beiträgt, dass diese Welt nicht zum schwarzen Loch der Gewalt und der Angst wird – indem er in seinem eigenen Leben mit sich selbst und mit anderen friedlich ist, liebend ist. Das hat sie mir gezeigt und dafür danke ich ihr in diesen schwierigen Zeiten der Kälte, des Strebens nach Reichtum, des sich Ablenkens durch Konsum und dem Gieren nach materiellem Erfolg. Ich danke ihr, die auf ihre Art und Weise wohl auch mit ihrem Leben vor dem 13. November bezahlt hat, denn ihr jetziges Leben wird nicht mehr viel mit ihrem unbeschwerten Leben davor gemein haben. Nicht in ihrem Innen und wahrscheinlich auch nicht in ihrem Außen. Ich konnte es in ihren Augen im Interview sehen und in ihrer zitternden Stimme hören. Und ich hoffe, dass ihre Botschaft an die Welt nicht - wie so oft - nach ein paar Tagen vergessen ist, sondern dass ihre Geschichte und die so vieler Menschen die mit diesen Erlebnissen weiterleben, dazu beiträgt dass die Welt wieder friedlicher wird als sie es im Moment ist. 


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