Montag, 22. Februar 2016

Nackt

Der Raum war weiß, in helles, gleißendes Licht getaucht, doch er hatte keine Fenster. Und dennoch, es war Tageslicht, es war kein künstliches Licht. Als wir hereinkamen saßen die Männer auf den Pritschen. Pritschen mit weißen Decken, Daunendecken, Daunenkissen. Sie saßen und sprachen nicht. Sie waren alt. Ich sah sie sitzen inmitten der gefliesten Wände, weiße Fliesen die bis zur Decke hoch gingen. Und Mama setzte mich auf die einzige leere Pritsche an der Wand. Auf dieser Pritsche gab es keine Decke, sie war nur mit einem Tuch bezogen. Sie war hüfthoch für meine Mama, höher als ein Bett. Mama setzte mich darauf und blickte mich an mit dem Rücken zu den Männern. Sie begann mich auszuziehen und ich konnte nichts sagen. Ich konnte nichts. Ich konnte nur spüren wie sie mich auszog und wollte sagen „nicht ausziehen“, doch ich wusste es würde nichts nützen. Ich wusste sie zog mich aus weil sie es ihr gesagt hatten. Weil es zu tun war. Weil sie mich untersuchen mussten. Dann kam eine Frau in einem weißen Kittel. Sie war blond und hatte eine tiefe Stimme und endlich, als die Frau da war, konnte ich schreien „Nicht ausziehen! Nicht ausziehen!“ Die Fliesen an der Wand halfen mir nicht, Mama half mir nicht. Die Männer halfen mir nicht. Ich nahm die Fliesen  in meinen Kopf, diese hellen, strahlenden Fliesen, sie waren das letzte an das ich mich erinnern kann. An diese Fliesen die genauso nackt waren wie ich bevor ich einschlief.

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