Dienstag, 27. Februar 2018

Frankfurt öffentlich von West nach Ost

Quer durch Frankfurt, so die „Hausaufgabe“ des Schreibkurses zu dem mich mein Nachbar überredet hat: Eine Straßenbahnfahrt mit der 11 quer durch die Stadt: Von Frankfurt Höchst (Zuckschwertstraße) nach Fechenheim (Schießhüttenstraße).

Es gibt noch andere mögliche Aufgaben auf die ich spontan mehr Lust habe, die ich jedoch, frisch geschrieben, meinen Mitschreiberlingen nicht zumuten möchte - vor allem möchte ich keine Fragen zum Geschriebenen beantworten, möchte es nicht bewertet sehen. Vielleicht ist es doch gut neue Wege zu gehen. So radle ich bei Sonnenschein an der Nidda entlang bis nach Höchst, wo sie in den Main mündet und trete die Hausaufgabenfahrt an der Endstation Zuckschwertstraße an.

Hauptmann Zuckschwert hatte sich im im 30-jährigen Krieg geweigert, das hier ansässige Schloss zu sprengen. Und so verdanken wir dem Hauptmann wohl auch die folgende Straßenbahnhaltestelle und die Aussicht auf den Bolongaropalast, die wir bald nach einem hektisch rot blinkenden Falaffel-Schild erreichen. 

Vor Abfahrt hole ich mir eine Stärkung im Verkaufspavillon mit türkischem Backshop mit Lahmacun, Börek oder urtürkischem „Wrap“. Alles hausgemacht, versichert mir die junge Verkäuferin - die einige der Passanten persönlich grüßt.  Zufrieden mit meinem Wrap in der Hand steige ich in die knatschgelbe Straßenbahnlinie 11 um beim Verspeisen den süß-säuerliche Geruch der höchster Industrieanlagen aus der Nase zu verdrängen.

Die Bahn zuckelt los am vom Hauptmann geschützten Schlossgebäude, einer Moschee, dem goldenem Wok und bald schon kleinen Reihenhäuschen, die gelb, grün, blau zu mir herüber lächeln. Die beiden Herren in RMV-Kluft in meiner Sitzgruppe unterhalten sich in slawischer Sprache - mein nebenan spricht schnell, spuckt zwischendurch deutsche Wörter aus wie „Pünktlichkeit“und „Verspätung“. Sein größerer, älterer Kollege gegenüber nickt einvernehmlich, spricht kaum, hier durch Frankfurt Nied. Der kleine, jüngere, wird immer lauter. Am Griesheim Center nähern wir uns dem aufregungstechnischen Höhepunkt des jungen Chauffeurs außer Dienst. Am pinken Adler Mode Markt frage ich ihn, welche Sprache er spricht. „Serbisch“ antwortet er mir lachend. Sein gegenüber schmunzelt und als der jüngere aussteigt, meint der sitzen gebliebene Kollege zu mir: „Ich bin Kroate, er versteht mich, aber ich verstehe ihn oft nicht.“.

Station Mönchhofstraße, Griesheim, der Kroate steigt aus, Alkoholgeruch steigt ein. Süßlich, von gestern oder vorgestern, vermischt mit Knobi, begleitet von außen mit Pitstop, Textilpflege und Pizzeria „Prego“. Ein Mann und eine Frau plätschern afrikanisches Französisch hinter mir. Der Mann insistiert. Ab der Station Schwalbacher Straße schweigt die Frau. 

Ich freue mich über meinen Sitzplatz, denn nach Küchenshop, KIK und Schuhtraum rechter Hand ist die Bahn jetzt quetschvoll, fährt flott an, und der Straßenbahnchauffeur legt eine Vollbremsung ein. Für einen Moment ist es still im internationalen Stimmengewirr - gut, dass es so eng ist. Niemand ist umgefallen. Die Anfahrt der 11 gelingt rasch und ein nuscheliges „Wenn sisch jemand verletzt hat, zum Fahrer nach vorne kommen.“ scheint nicht wirklich ernst gemeint. Eine Frau raunt ihrem Nachbarn zu „was hat der gesagt?“

Kamikaze gewinnt das Rennen mit einem Kleinlaster auf der mehrspurigen Mainzer Landstraße in Richtung Innenstadt. Ich möchte die Werbepause des Ein- und Aussteigens im Rennverlauf beschleunigen und einer der Akteure brüllt tatsächlich durch die nun geöffnete Straßenbahntür „lasst die Leute erst mal aussteigen bevor ihr reindrängelt!“

Langsam passieren wir den Kiosk am verbarrikadierten Turm der Galluswarte. Kichernde Teenies steigen ein. 
„Hej, neulisch hab isch mir so einen Macron gekauft, so ein runder Keks, hat Zweifuffzisch gekostet“. 
„Und? Kaufste wieda?“
„Warum soll isch, für zweifuffzisch?“

Die Mainzer Landstraße, die wir seit Griesheim entlanggleisen nun im Kleid restaurierter Bürogebäude im Loftstyle mit szenig wirkenden Restaurants und wachsender Häuserhöhe.

Zufrieden beginnen die Teenies an der Station Güterplatz zu turteln „mein Handy ist so schtark“. Ich verkneife mir einzuwerfen „mein Handy ist stärker als dein Fax.“ jedoch, ich möchte friedlich weiterfahren. Ein anderer Mitfahrer in meinem Alter hält die Pubertiere allerdings an, leiser zu turteln. Der Blick fällt auf Skyline Plaza, eines der neusten Einkaufszentren der Stadt neben Messe, Hochhaus-Baustelle, „Imori“ und „kleine Anna“.

Kamikaze-Pilot im Führerhäuschen nimmt die 90-Grad Kurve zum Platz der Republik auf die Zielgerade zum Hauptbahnhof vor dem Hochhaus von DZ Bank und anderen Wolkenkratzern. 

Frische Passagiere am Bahnhof. Vielleicht für die neu zugestiegenen, nun zurückhaltend in die kurze Linksskurve an O’Reillys Irish Pub wo bei Fußballevents die Biere nie ausgehen und verschiedenen, meist osmanisch geführten „ischhaballeswasdubrauchst“-Shops.

Die Turtelteens steigen in der Münchnerstraße aus. Professionelles, öffentliches Verkehrsmittel-Schweigen des verbleibenden Büropublikums lässt mich entspannen. Richtung Römer jagen wir an Tip-Shops, malayischen, indischen türkischen Restaurants, Schuhmacher Lenz und Gold ankaufenden Juwelieren vorbei.

Weseler Straße, Asialaden, Hediyelik, Geschenkartikel, Vatan Cafe, Burak und Karizma Friseur, Central Grill, Handy Markt, Deniz Bank, Türk Ketaber, Fletschers Burger - dazwischen Hochhäuser. Wir überqueren gemächlich den Willy-Brandt-Platz mit kubischen Glasfronten von Oper und Schauspielhaus, und Mammut-Euro-Zeichen vor der ehemaligen EZB.

Die ruhige Fahrt setzt sich fort, vorbei an Designläden, Galerien, Investmentgebäuden und den Museen für Moderne Kunst 1 und 3. Alkohol-Knobi steigt aus. Mit frischer Nase ist der Blick auf den von Fachwerk und Bauzäunen umgebenen Römer und die gegenüber liegende Pauslkirche vor abgesäbelten Winterplatanen ein Genuss. So tut Frankfurt gut. Auch in der 11.

Gnädig beäuge ich die bunte Leihradinflation und den wartenden roten Doppeldecker-Touribus mit Asiatengeschwader. Eine kräftige Frau steigt ein um türkisch auf Lautsprecher zu telefonieren. 

Kurz das Flair des alten Fachwerk-Frankfurts geschnappt, sind wir nun weiter Richtung Osten im kantigen 50er-Jahre Stil unterwegs. Hier scheint es mir berechtigt mich vom Smileyspiel auf dem Smartphone meiner Nachbarin ablenken zu lassen.

Ein kleiner, älterer Mann steigt ein, setzt sich mir gegenüber und lächelt mich an. Ein paar Stationen später wird er einen neuen Fahrgast grüßen. Ein lauter Bariton beginnt zu telefonieren. Es geht um „ihn“, man solle „ihn“ reden lassen. Ich Auch ich scheine „ihn“ nun kennenzulernen auf dieser Fahrt. Ein „Nachspiel“ würde es haben, so der Bariton an der Station Allerheiligentor. Rauchgeruch zieht herüber. Noch sind die Häuser unsaniert, Hotel Luxor, Obst, Gemüse, frisch und preiswert, Ostendstraße.

 Vor uns die sich monströs aufbauende EZB. Drumherum praktisch-schick wie Coffee Fellows und B&B Hotels. 

An der Station Zobelstraße ein kurzes Aufblitzen des alten Ostends. Eine ausgestorbene Pizzeria und Tedi - Ramsch für alle - lassen erahnen wie es hier war bevor die EZB ihren Sitz in den Osten der Stadt verlegte. Doch hauptsächlich schieben sich an dieser Stelle kühl-schöne Läden wie Illy Café, Yooki, modern japanese kitchen oder Globetrotter die Hanauer Landstraße nach Osten. Begleitet von Kränen für luftige Neubauten und der neuen Honsellbrücke über den Main.

Nun chinesisch per Smartphone-Lautsprecher. Ein Nichtverstehen und doch dabei sein und weiter geht es auf der zweispurigen Ausfallstraße, vorbei an Dialogmuseum, East 114, Coffee Fellows, Fitseveneleven, Gräf Völsings, Lounge Bar, motel one, Kieser. Zwischen Schnell-Kulinarik und Fitness scheint sich das Leben der Menschen hier zu bewegen um dann ein paar Meter weiter im Motorenrausch zu enden. Riesige Zentren des Vierrads reihen sich palastartig in Richtung Osten. Natürlich müssen Autos auch gereinigt werden, das wird erledigt bei Mc Wash und weiter draußen in einer Edelwaschanlage für den gehobenen Autofahrer mit Ausstiegscafé während das zweitbeste Stück den Innenraumservice auf fahrbarem Teppich genießt.

Schwedlerstraße - Aufblitzen der Möbelindustrie mit Roche Bobois, Yelloo und dem Möbelladen für Menschen mit modernem Geschmack und etwas mehr Geld in der Börse als Ikea-Kunden: Kontrast, gefolgt von Fliesenoutlet und Geschäften rund um Küche und Bau.

An der Haltestelle Daimlerstraße ist es mit den Vierradpalästen auch schon vorbei. KFC und Pizza Hut servieren heißes aus Tier und Getreide. Wir in der 11 treten erneut in den Wettstreit mit den sich neben uns stauenden Autos, denn die Abstände zwischen den Haltepunkten sind länger geworden. Autovermietungen und Reifenhandel. Dieselstraße – zutreffender könnte die Haltestelle nicht heißen. 

Der kleine Mann, der immer wieder Fahrgäste grüßt, zeigt mir eine riesige Baustelle. „Da wird eine S-Bahn gebaut,“ meint er, und unterstützt seine Worte mit ausladenden Handzeichen. Ich bedanke mich für die Info die er mir wohl gibt, weil er gesehen hat, dass ich in mein Büchlein schreibe.

Hornbach, Mainova, TÜV Hessen ...

Ein altes Fabrik-Ziegelgebäude an der Haltestelle Casellastraße und wir sind fast am Ziel der Endstation von Nr. 11., im östlichen Osten der Stadt. Kamikaze nimmt zusehends langsamer die Kurve um den alten Industriekomplex nach rechts nach Alt-Fechenheim. 


Hier steht die Zeit still und so scheint es auch an der folgenden Endstation Schießhüttenstraße. Kneipe rechts, Fluss links. An der bogenhaften Fußgängerbrücke über den Main lässt das Schild „Pferde verboten“ erahnen, wie hier gelebt wird. Auch der Main scheint seine idyllische Kurve zu genießen, bevor er der 11 entgegen nach Westen, Richtung Großstadt fließt. Ich steige aus, bewundere pferdfreie Brücke, Schilf und Fluss und Ruhe und die wilde 11 zieht weiter um zu wenden und gleich wieder von neuem zu starten, zurück Richtung Zuckschwertstraße. Erschöpft von der Reise quer durch die Stadt werde ich nicht einsteigen. Ich laufe zum Fluss – durchatmen. Endstation Schießhüttenstraße.


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