Donnerstag, 15. November 2018

Zeitgeiz

Ich traf sie auf einer Feier. Wir kamen ins Gespräch. Sie erzählte mir, sie sei  Gleichstellungsbeauftragte in ihrem Unternehmen. 

Wir sprachen über die Schulen, darüber dass manche Kinder Anschub bräuchten, andere nicht und dass sie immer arbeiten gegangen war, trotz der Kinder. Dass sie viele Mütter nicht verstehe die gestresst sind weil sie arbeiten würden und auch noch beim Turnunterricht der Kinder zusehen würden (solch zusehende Mütter kenne ich allerdings nicht) und so rutschten wir aus - in mein Leben.

Ich arbeite im Moment nicht. Die Aussage ist so falsch wie der Glaube dass der Storch die Kinder bringt, denn weder bringt er sie, noch zieht er sie groß. Noch ist er da wenn wir sie morgens,  nachmittags oder nachts betreuen bis die größer werdenenden Kleinen am Abend die Augen schließen. Muss ich aufzählen was dazugehört?

Volkswirtschaftlich gesprochen versuche ich möglichst zufriedene, gesunde Rentenzahler von morgen zu produzieren. Ich tue dies mindestens 6 Stunden am Tag, keine Gleitzeit, kein Urlaubsanspruch, immer auf standby, eigene Entwicklungsmöglichkeiten sind die des Mitlernenden, schleichende Kündigung nach 17 bis 25 Jahren ziemlich wahrscheinlich. Weil Kinder betreuen nicht arbeiten ist, weil diese Rolle "natürlich" ist und daher "natürlich" auch nicht monetär entlohnt wird. Ist doch klar!

Was soll ich sagen? Ich war zufrieden vor diesem Abend. Danach gehe ich mit der Wut im Bauch nach Hause darüber jetzt zu versorgen, doch später vielleicht nicht versorgt zu sein. Mit Dem Gefühl, dumm zu sein, denn, so ihr Buchtipp „ein Mann ist keine Altersvorsorge“. Und vor allem dem Gefühl das, was ich gerade mal ein Jahr lang getan habe wäre fahrlässig dumm.

Was tue ich denn? Im Moment sitze ich hier. Ich schreibe. Ich atme - wenn morgens alle aus dem Haus sind - auch durch. Ich gönne mir eine Stunde Yoga, oder ein Buch, oder ich probiere etwas Neues aus und wenn es mir gut tut freue ich mich, wenn nicht, lasse ich es wieder.

Und, ich habe Zeit zuzusagen, wenn die Klasse meines Sohnes für einen Ausflug Eltern braucht, wenn Vorlesetag in der Schule ist, oder Chorprobe - ich habe mich ausgeklinkt aus dem Dauertenor der Mütter in meinem Umfeld, dem Mantra der mich umgebenden Akademikerinnenschicht, das da heißt „für so etwas habe ich keine Zeit“.

Als ich "neben" meiner natürlichen, nicht entlohnten Muttertätigkeit gearbeitet hatte wurde ich depressiv. Dauerfrustrierte Kollegen und Themen die mich damals nicht interessierten taten ihr übriges. Gutes Geld hat mich jahrelang ausharren lassen - bis ein emotionaler Schlag ins Genick es mir fast gebrochen hätte. Angehalten werden wenn man es nicht selbst tut - das erfahren wohl die meißten Menschen irgendwann und weil sie keine Zeit haben genauer hinzuschauen schlucken sie Medikamente oder bedienen sich anders auf dem Markt der Selbstzerstörungsmöglichkeiten der so groß und unglaublich einfallsreich ist. Kreativität pur also? So lange irgendjemand Geld damit verdient, ja!

Ich arbeite nun bewusst seit einem Jahr nicht für Geld. Das stimmt nicht ganz, denn ich bin selbständig und  manchmal mache ich einen Job, ein paar Wochen. Dann freut sich mein Mann, dass ich einen Teil des Urlaubs bezahle. Ich freue mich über nette Kollegen und gekochtes Mittagessen in der Kantine meines Kunden. Doch wenn ein Projekt vorbei ist fehlt mir kaum etwas - außer der Entlohnung meiner Tätigkeit.

Mein Job - Produkte vermarkten die hauptsächlich der braucht, der sie verkauft. Ich sah für mich keine Sinn mehr darin. Freude war verlorengegangen. Auch menschlich kaum Positives. Wer sich selbst nicht mag, kann auch andere nicht mögen, grenzt ab, schafft Schubladen. Gut und Schlecht. Oben und Unten. Die anderen gegen mich. Misstrauen auf allen Ebenen. Schuld sitzt immer im Außen. Wo sonst?

Ich wurde immer müder, immer ätzender mit den Kindern - die immer mehr Bauchschmerzen, Unverträglichkeiten, Zappeleien entwickelten - ihre Form der Kooperation. Sie funktionieren viel natürlicher als wir es tun.

Auch ich hatte keine Zeit damals, nicht  einmal dafür mir Gedanken zu machen wofür ich sie tatsächlich opfere: Für Geld und damit emotional verbunden vermeintliche Sicherheit die es nicht gibt. Für eine wohlhabende Zukunft die ich haben werde, dann, wenn meine Gesamtzeit fast ausgegangen ist - wenn sie mir nicht vorher schon ausgegangen sein wird.

Ja, sie hatte Recht, die Frauenbeauftragte. Die Rente meines Mannes kann für seine Pflege drauf gehen - wenn er nicht sofort stirbt nach einem An- oder Unfall. Dann bleibt mir nichts wenn ich nichts Eigenes habe. Es muss also nicht Trennung der Grund sein dafür dass ich arm sein könnte im Alter, dann, wenn ich das bewusst geschenkt habe, was viele Frauen in meinem Alter, meiner Schicht nie gelernt haben sich selbst zu schenken: Zeit. Zeit vor allem in Form von Selbstliebe, vereinfacht gesagt Zeit dafür, gut zu sich selbst zu sein in den vier bis fünf Stunden des Tages an denen meine nicht mit Geld oder Rentenansprüchen bezahlte Arbeit in der Schule, beim Training oder im Bett ist.

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