Ich hatte es mir vorgenommen: Mittwochs in die lange Yogastunde am Vormittag zu gehen. Die 90-Minuten-Stunde die mir eine Zeit lang zu anstrengend war, zu lang war, bei der mir früher trotz Lauf- und Boxtraining regelmäßig die Kraft ausging und ich daher meist lieber in die 60-Minuten-Stunde um 12 Uhr ging. Diese 12 Uhr-Stunden die sie in der schicken, riesigen Banker-Yoga-Fabrik „Business-Yoga“ nennen, das klingt auch besser. Wichtiger. Doch weil in den 90er-Stunden einfach mehr Zeit ist für alles, vor allem mehr Zeit um zu sich zu kommen, wenn man weiß wo man ist, was beim Business-Yoga vielleicht auch nicht erwünscht ist, denn man soll ja im „Business“ bleiben, ging ich heute wieder in die 90er Stunde mitten am Vormittag. Man würde denken, dies ist die Hausfrauen-Stunde, die Stunde mit 3-5 Teilnehmern, vorwiegend weiblich und vielleicht noch ein paar männlichen „Berufsträgern“ welchen Berufs auch immer mit außergewöhnlich freier Zeiteinteilungen. Doch nein, heute war der Raum voll, kein Platz mehr frei, als ich wie immer, 5 Minuten vor Beginn der Stunde leicht hektisch ins Studio trudelte, nicht zu spät sein wollend, doch immer an der Grenze zum zu spät sein, weil ich immer etwas finde was mich davon abhält einige Minuten früher loszufahren als gemusst, weil ich fast immer in den Dingen verharre die ich gerade tue, nicht wahrhaben wollend, dass ich das Tun unterbrechen muss um für das nächste Tun rechtzeitig zu sein. Immer zu wenig mit der Sache fertig, die ich fertig machen soll. Weniger fertig damit, je weniger ich die Sache mag die ich machen soll, denn dabei wird am Ende die Zeit immer eng wenn nämlich die Deadline naht, ich immer hektischer werde weil ich noch nicht so weit bin um zielgerecht über die meist selbst gesetzte Deadline zu gehen und dann noch ein paar Kreise vor der Deadline herumtänzle im Tun, wissend, dass jeder normale Mensch schon längst über die Deadline gelaufen wäre, jubelnd, froh, dass der Marathon jetzt geschafft ist. So bemerke ich oftmals erst bei Kilometer 40, dass der Lauf meines Tuns schon bald zu Ende ist und bemerke auch, dass ich noch gar nicht so richtig gelaufen bin. Für meine Begriffe zumindest, denn immerhin bin ich bis Kilometer 40 gekommen, mindestens so locker oder unlocker wie die um mich herum, doch warte ich bei Kilometer 40 immer noch auf den Kick den viele beschreiben wenn sie mit 30.000 anderen auf Strecken laufen, die sonst nur Autos befahren dürfen. Also laufe ich zwar mit der Masse, doch spüre ich ihn nicht, den Spaß den die Masse dabei hat. Bin zwar ein Teil der rennenden Masse, fühle wie sie mich mitreisst, doch fühle ich mich selbst nicht in der Masse. Also auch diesmal wieder: Kurz vor dem Ziel hätte ich das Ziel fast verpasst. Doch am Ende habe ich es gerade noch rechtzeitig gefunden - den Yogaraum und meine Matte darin, in mitten der Masse der Yogiretten vom Mittwoch Vormittag.
Es war voll. Ich quetsche mich zwischen die schon aufgereihten Matten. Ein Mann neben mir und die Matte vor mir werden verrutscht, wir alle rücken zusammen. Ich frage mich was los ist, bemerke, dass wieder einmal viele Yogalehrer selbst an der Stunde teilnehmen, sich kennen, alle quatschen, was selten ist vor den Stunden. Denn meist herrscht vor den Stunden eher kontemplative Ruhe, man sitzt auf seinem Platz, wartet auf den Lehrer, hält tendenziell eher die Klappe. Doch heute nicht. Heute ist es laut, es ist Stimmung, gute Stimmung. Die Stunde heute könnte im Stundenplan lauten „Kaffee-klatsch-Stunde“ oder „Brunch-Stunde“ weils länger dauert als eine normale „Breakfast-Stunde“. Die Stunde um 7 Uhr morgens übrigens, in die ich ich vor meinem „Business“ auch gerne gehe, heißt einfach nur „Vinyasa“. Nach der Art des Yogas, die dort geübt wird. Obwohl sie ebenfalls nur 60 Minuten dauert, also im „Business“-Format ist, trägt sie den Namen den sie verdient. Um 7 Uhr morgens ist noch keine Zeit für Marketing-Wortspielchen. Um 7 Uhr morgens kommen die Leute die kommen wollen, egal wie die Stunde heißt.
Die „Mittwochs-Brunch“ Stunde allerdings ist voll, sicherlich aus einem Grund: Die Lehrerin dieser Stunde war für viele der teilnehmenden Yogalehrerinnen und -lehrer die Ausbilderin. Die Frau, der viele von Ihnen viel Wissen verdanken, die erst mit über 30 nach einem schweren Unfall mit Yoga angefangen hat. Die Frau, die schon fast überall auf der Welt Yoga-Ausbildungen erfahren hat. Die Frau, die eine unglaubliche Wärme und Weisheit ausstrahlt. Bei der Yogastunden nicht einfach nur körperlich anstrengend sind, was für viele der „neuen“ Yogiretten das non-plus-ultra ist, das Yoga, was ich gerne „Kampf-Yoga“ nenne. Ganz im Wettkampf-Stil unserer Gesellschaft, die es sogar schafft Yoga zum Hochleistungssport zu machen. Yoga auf die ersten Seiten von Fitness- und Shaping-Magazinen zu bringen. Bei dieser Yogalehrerin also, finden sogar die Wettkampf-Yogisten zu sich selbst, ist mein Gefühl, denn sie streut am Anfang, während und am Ende ihrer Stunden so viel Weises ein, nimmt sich jedem irgendwann korrigierend an, manchmal mit kräftigem Druck, manchmal nur mit ihrem „ich seh alles Schatzi“-Blick. Sie ist also die Gururette unter den Yogiretten die sich daher fast wie die Ölsardinen in den Raum quetschen. Und wir alle sind froh, dass sie jetzt los geht - die Stunde.
So ist diese Stunde wunderbar anstrengend, schön streckend, öffnend, drehend, viel atmend, ein bisschen singend. Sie nennt den Spruch einer Ihrer Lehrerinnen „say what you mean and mean what you say“; und wer das nicht tut beim Singen beispielsweise, der sollte vielleicht einfach nicht mitsingen. Das mag ich sehr, denn das dogmatische Yogiretten-tum beim Üben, Meditieren, Singen gefällt mir nicht. So ist es wieder eine wunderbar Stunde mit vom Schweiß angelaufenen Fensterscheiben am Ende und wie immer mit meinen Tränen bei so mancher Position die einfach fließen und die sie bei mir kennt diese Lehrerin, so wie sie die meisten von uns kennt. Meine Tränen die schon so manchen anderen Lehrer zu einem hektischen „alles ok bei Dir?“ veranlasst haben und die bei mir nichts mit meiner körperlichen Leistungsfähigkeit zu tun haben. Die Tränen, die mir manchmal vorkommen wie bei anderen der ganz normale Schweiß der einfach rauskommt, der den Körper kühlen soll in der Hitze der Anstrengung. So habe ich manchmal das Gefühl, meine Tränen sind ein Kompliment für den Yogalehrer, denn sie kommen nicht in jeder Stunde. Sie sind ein Kompliment dafür, dass auch mein Hirn schwitzt, sich bewegt in der Stunde und Kühlung braucht. Und diese, innere Kühlung für mein Hirn, das sind meine Tränen. Also der innere Schweiß des Hirns, das sich in diesen Stunden ebenfalls streckt, öffnet, dreht.
So kennt diese Yogalehrerin meine Tränen, lässt sie mich laufen lassen. Manchmal mehr, manchmal weniger. Heute eher weniger als sonst, denn mein Hirn hatte viel Übung die letzten Tage und kommt nicht mehr so schnell ins innere Schwitzen. Und doch: Bei der End-Entspannung, zugedeckt am Boden liegend sind wieder eins, zwei von Ihnen da. Alles gut. alles normal. Bin nur ich. Die Stunde „aumt“ sich fertig und als die begeisterten Yogiretten ihre Blöcke, Decken, Matten wegräumen, sich schnatternd unterhaltend, fröhlich umherwuseln, sitze ich, wie so oft, noch fast benommen, still da, genieße dieses Übrig-bleiben im Raum der sich langsam lehrt. Die Lehrerin kommt zu mir, wie schon oft danach und sagt „bleib doch noch ein bisschen Sitzen Schatzi“, doch nimmt sie mich diesmal in den Arm und sagt „alles wird gut“ und „Claudi, irgendwann wird alles leichter, glaub mir“. Und da ist er gebrochen. Der Schweiß-Damm meines Hirns. Sie hat ihn geöffnet und ich hänge in ihren Armen, sie heruntergebeugt über mir. Während sie weiter auf mich einredet muss ich jetzt richtig heulen, in sie hinein und sie spricht wieder so viele weise Sätze als ich sie schluchzend frage „wie lange dauert das noch?“, ihr Yogashirt dabei voll rotzend. Sie sagt „Ich kenn das, ich kenn das so gut, aber irgendwann wird es leichter. Du bist so ein toller Mensch und die haben es oft schwer. Glaube mir. Es wird.“ Sie spricht so vieles was ich gerne mit meiner Gehirn-Gefühls-Kamera in Zeitlupe aufgenommen hätte. Doch ich habe etwas aufgenommen. Das Gefühl des Trosts und des Lieb-gehabt-werdens und des Nicht-allein-seins. Das Gefühl das ich in letzter Zeit immer häufiger ernte, immer häufiger ernten darf.
Sie bringt mir ein große Kleenex-Box dorthin wo ich sitze, noch umwuselt von den anderen Yogiretten die noch aufräumen, doch deren Stimmen ich schon längst nicht mehr höre. Ich bleibe noch im Raum, rolle mich noch einmal zu mir hin, von niemandem weg, sondern einfach auf meiner Seite ein, mit der Hand voller vollgerotzter Kleenex-Tüchern, liege noch eine Weile, wartend auf die Ruhe die nun kommt. Wartend auf die Leichtigkeit die noch nicht kommt, die noch nicht kommen kann hier schwer am Boden liegend. Nach einigen schönen, langen Minuten stehe auch ich auf, räume auch ich meine Matte und meine Decke weg, wackle in die Umkleide wo ich ein paar Blicke erstaunten Mitleids nackter, aus der Dusche kommender Yogiretten ernte. Will meinen Schrank aufschließen und bemerke, dass ich den Yoga-Block im Arm halte wie ein Baby. Dass ich ihn tröstend mit in die Umkleide genommen habe, nicht bemerkend, dass er dort nicht hingehört sondern ins Regal im Yoga-Raum. Nicht bemerkend, dass das Baby in meinem Arm nicht mein schlafendes Baby, sondern der korkene und daher warme Yoga-Block ist. Ich muss lachen. Fange an mit dem Block zu sprechen „na mein Kleiner, willst Du mitkommen, das geht aber nicht, dann sucht Dich Deine Mama.“ und bahne mir den Weg zurück aus der Kabine durch jetzt auch schmunzelnde, immer noch größtenteils nackte Yogiretten, um den kleinen zurück zu bringen. Ausgeheult und gleichzeitig lächelnd, berührt. Von der Stunde, vom Heulen, vom Block-Baby in meinem Arm.
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