Leni lebte bis vor kurzem mit Ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn im Haus, die Enkelkinder, mein Mann und seine Schwester, waren schon vor vielen Jahren ausgezogen. Wenn ihre Tochter die letzte Zeit wegfahren wollte, kam Leni in Urlaubsbetreuung in ein Altenheim, denn eine 97-jährige vergisst schon mal die kochende Fleischsupp ausszuschalten oder die Toilette zu spülen, also hatte man sich arrangiert, dass sie in der Urlaubszeit eben nicht alleine im gemeinsamen Haus bleiben sollte. Nur beim letzten Urlaub ihrer „Kinder“, hatte ihre Tochter beschlossen, sie ganz dort zu lassen. Man hatte ihr gesagt, sie werde wieder drei Wochen dort bleiben. Und weil sie fit war im Kopf, hatte sie nach drei Wochen stoischen Abwartens dort ihre Sachen zusammengelegt, wartend auf Abholung. Darauf wartend, wieder in ihre Wohnung in das geliebte, zwischen anderen Häusern eingeklemmte Haus an einem steilen Hang inmitten von Dausenau im Lahntal zurückzukehren. Doch diesmal war es anders. Oma Leni, die immer als die starke in der Familie galt, die immer sagte was sie dachte, was sie wollte, die ihre Familie immer im Griff zu haben schien, war so stark, noch mit 97 Jahren, dass ihre Tochter es nicht geschafft hatte ihr vorher klar zu sagen, dass sie diesmal nicht nur für die Zeit ihres Urlaubs dort bleiben sollte. Sie hatte es nicht gewagt mit ihrer Mutter vorher darüber zu sprechen, wie sie es nie gewagt hatte, ihr Dinge, die entschieden waren vor ihrer Umsetzung mitzuteilen. Viele Dinge hatte man Oma Leni nicht gesagt, weil man ihre Reaktion fürchtete. Die Reaktion einer 97-jährigen, die als stur galt. Erst also, als sie dort saß, im Heim, auf Abholung wartend, hatte sich die Tochter zu ihr gesetzt und ihr erklärt, dass es diesmal nicht mehr mit nach Hause ging.
Sie hatte zu mir jedes mal wenn wir sie besuchten gesagt: „Es is nix mehr, es is nix mehr.“ und bei einem der letzten male sagte sie „Mei Eberhard ist seit 25 Jahr tot und seitdem bin isch allein. Isch weiß ned, ob der da obe misch vergesse hat, oder ob er misch einfach ärgern will,“. Ich stand neben ihrem Bett, dass sich damals schon in ihrem Wohnzimmer befand, damit sie nicht mehr den extra Weg ins Schlafzimmer machen musste um zu schlafen. Ich war ein wenig sprachlos, doch sagte ich ihr: „Leni, ich glaube nicht dass der dich vergessen hat, ich glaube nur, dass Du noch irgendwas hier erledigen musst, dass Du wohl irgendwas noch nicht fertig hast. Dank mal nach, was des sein könnt“. Sie sah mich damals an, mit einer Mischung aus Ratlosigkeit und Fernweh, schüttelte den Kopf dabei, zuckte mit den Schultern und sagte „isch ha nix mea. Da Fernseh un die Zeidung. Isch ha do nix mea zum erledische.“
Oma Leni ging ganz auf ihre Art, ohne lange Worte, ohne langes Leiden hatte sie entschieden dass es Zeit war umzuziehen. Ihre Enkeltochter und Tochter als Umzugshelferinnen bei ihr am Bett, tat sie den letzten endlich müden Atemzug in diesem Körper, nach 97 Jahren darin.
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