Freitag, 30. Oktober 2015

Die Mauer

Die glatte Mauer. Ich stehe vor ihr, möchte in sie hinein, nein, durch sie hindurch, möchte sie überwinden. Ich weiß, dahinter ist es wunderschön. Dahinter ist alles was ich mir immer gewünscht habe. Dahinter ist das Paradies. Ich weiß es genau.

Ich stehe davor. Es ist nur eine Mauer. Eine blöde Mauer. Doch sie ist vor mir. Dahinter ist es wunderbar. Ich kratze an ihr, suche nach einem Vorsprung, nach Haken, nach Tritten, nach einem Seil das jemand herübergeworfen hat. Ich laufe nach rechts an ihr entlang genauso wie nach links. Jetzt sehe ich es, das Seil, greife danach, ziehe mich hoch. Ich werde es schaffen. Das Seil hält mich. Ich hangle mich weiter nach oben. Meine Beine rutschen ab, doch ich werde es schaffen. Sie ist nicht so glatt als dass ich es nicht schaffen könnte. Ich ziehe mich weiter hoch. Bald habe ich es geschafft. Bald bin ich dort wo ich immer sein wollte. So weit war ich noch nie. Gleich bin ich da, kann rüber sehen. Nur ein paar Zentimeter noch. Ich kann die obere Kante der Mauer greifen. Gleich oben. Gleich drüben.

Das Seil gibt nach. Ich rutsche ab, oben an der Kante kralle ich mich fest. Das Seil fällt. Ich auch, liege unten, wie schon so oft, habe es nicht geschafft hinüberzuklettern, nicht einmal hinüberzusehen, bin wieder da wo ich war, am Boden. Bleibe liegen. Länger diesmal. Länger als jemals zuvor. Irgendwann stehe ich auf, wie immer, irgendwann. Horche nach dem Paradies auf der anderen Seite, kann es hören, ganz deutlich, kratze wieder, finde genauso wenig Tritt, Haken oder Seil. Wie vorher. Meine Finger schmerzen. Dennoch kratze ich weiter. Schmerz vom Kratzen am Paradies. Die Mauer rot, lässt meine Finger blutig zurück. Sonst nichts. Sie lässt meine Gedanken blutig zurück. Das Paradies. Sonst nichts. Ich drehe ihnen den Rücken zu. Sonst nichts. Kalte Mauer, kaltes Paradies. Ich sollte gehen. Sonst nichts. Ich werde gehen. Irgendwann. Sonst nichts.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen