Montag, 28. September 2015

Paris II

Und so war sie wohl auch am meisten schockiert damals, als die andere Großmutter zu Weihnachten mit ihrem Hund kam. Einem Dackel der ebenso rothaarig war wie Sarah Altmejd, vielleicht welliger, und um einiges wilder als das auf einem Stock aufgespießte  Bildnis der Künstlerschwester. Und als dieser Hund sich begeistert unter den Weihnachtsbaum warf, nicht nur um am Moos zu schnuppern, sondern auch um den Wachsgeschmack das Jesukindleins zwischen seinen Zähnen zu spüren, wusste sie, es war unwiederbringlich. Schon in dem Moment, in dem sie den Hund zurückrissen um ihm das Kindlein aus dem Maul zu reißen, der Kopf bereits auf dem Teppich lag, war es zu spät. Sie waren getrennt. Kopf und Kind. Sie war untröstlich im Gegensatz zu Eltern und Großmutter, die meinten man können ihn wieder ankleben, den Kopf. Ja, sie wusste es, doch war sie auch schon zu alt um zu glauben alles würde wieder wie vorher werden. Sie wusste , das Ankleben des Kopfes würde für immer sichtbar sein, die filigrane hellgraue Linie die sich danach durch die weiße Haut am Hals des Kindleins zog würde sie nie vergessen lassen was der Hund ihm angetan hatte und sie wusste auch, dass dieser zurückgeklebte Kopf nie mehr das aushalten würde was er bis zum Biss aushalten hatte können und auch, dass die gesamte Zukunft des kleinen Jesus nun verändert sein würde. Sie würde nun nicht nur vorsichtig und ängstlich sein. Sie würde von Grund auf verändert sein - die Zukunft vom kleinen Jesus.


Sie fühlte sich angekommen vor Sarah Altmejds Kopf. Das Moos, der für immer abgetrennte Kopf und dir rote Mähne des Hundes. All das vereint auf neue, wundervolle Weise, so dass sie dem Künstler, wäre er hier gewesen, sofort erleichtert in die Arme gesunken wäre, um ihn nie mehr los zu lassen, nicht freiwillig. Die Ausstellung lief schon sehr lange, der Künstler war natürlich nicht mehr vor Ort. Hier an dem Ort der so viel mit ihrem Heimtaort gemeinsam hatte wie ein Misthaufen mit einem Tablett-Computer. Der Ort, den sie schon als Kind gleichsetzte mit dem Gefühl der Unerreichbarkeit. Dem Gefühl ihrer eigenen Begrenztheit in der Welt des „mia san mia“ und vor allem des „des san mir ned“.

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